Der Beobachter

Als Neurowissenschaftler nach dem Selbst im Gehirn suchten, kamen sie mit leeren Händen zurück. Es gibt dort kein kleines Wesen, keinen CEO in deinem Kopf, der Entscheidungen trifft. Stattdessen fanden sie eine Art Leere. Eine wunderschöne, mysteriöse Leere, in der all deine Gedanken, Emotionen und Empfindungen entstehen und wieder vergehen.

Es ist, als würde man versuchen, den Leiter einer Jazz-Improvisationssession zu finden. Das Selbst ist ein Tanz von Interaktionen ohne zentralen Dirigenten. Das ist der größte Fehler, den die meisten Menschen während der Meditation machen. Sie glauben, im Inneren jemanden vorzufinden. Doch so einfach ist das nicht. Der innere Kommentator, dessen Stimme wir oft wahrnehmen, ist nicht die letzte Instanz unseres Daseins.

Der innere Kommentator

Er hat drei Modi: Erzählmodus, Kritikmodus und Begeisterungsmodus.

Er beobachtet all unsere Handlungen und Gedanken und kommentiert sie.

Er ist auch derjenige, der dich während deiner Meditation anleitet, dir sagt, dass du einen guten oder schlechten Job machst. Derjenige, der dich kritisiert und derjenige, der dich beruhigt. Er ist besessen davon, dich zu definieren, doch seine Definitionen sind so flüchtig und inkonsistent wie die Gedanken, die ihn antreiben.

Der Grund, warum es so leicht ist, ihn mit dem beobachtenden Selbst zu verwechseln, liegt darin, dass sich auch der innere Kommentator wie eine separate, friedliche Instanz anfühlt, die nicht in dein tägliches Leben involviert ist. Er ist eine entfernte Stimme, die immer etwas zu sagen hat.

Der Beobachter

Der Beobachter ist immer stumm.

Er schaut nur zu.

Er denkt nicht. Er beobachtet einfach. Nimmt alle Informationen auf, reagiert aber nie darauf.

Der Beobachter sieht auch den inneren Kommentator. Doch der Beobachter greift nicht ein, weil er es nicht muss. Er weiß bereits: Nichts davon definiert dich.

Wenn du wirklich lange genug beim Beobachter verweilst – in tiefer Meditation oder in Momenten völliger Stille –, bemerkst du etwas Verrücktes:

Der Beobachter gehört nicht einmal dir.

Das Bewusstsein, das deine Gedanken beobachtet, ist dasselbe Bewusstsein, das meine Gedanken beobachtet. Dasselbe Bewusstsein, das die Gedanken deines Nachbarn sieht, eines Mönchs in einer Himalaya-Höhle oder eines Typen, der in Tokio in der U-Bahn vor sich hin starrt.

Was sich verändert, ist der Inhalt – die Gedanken, Emotionen und Erfahrungen, die hindurchfließen. Doch der Raum, der all das bemerkt, bleibt identisch, unberührt, universell.

Wenn du den Lärm wegnimmst, erkennst du, dass die Person, mit der du streitest oder dich verliebst, im Kern von demselben Bewusstsein belebt wird, das dich belebt.

Der innere Kommentator vs. der Beobachter

Der innere Kommentator ist im Verstand verwurzelt, was bedeutet, dass er durch Konditionierung geformt wird: deine Erziehung, die Gesellschaft, Ängste, Wünsche, Unsicherheiten.

Er ist ein Produkt deiner Vergangenheit, das ständig alte Muster recycelt und sie auf deine Gegenwart und Zukunft projiziert.

Je mehr gute Denkmuster du kultivierst, desto sanfter und verfeinerter wird der innere Kommentator.

Doch wenn du den wahren Beobachter kennenlernen willst, musst du woanders suchen.

Suche ihn im Zeitlosen.

Er ist nicht in deine Vergangenheit verstrickt oder besorgt über deine Zukunft.

Er existiert nur im gegenwärtigen Moment.

Während der innere Kommentator spricht, hört der Beobachter zu.

Während der innere Kommentator analysiert, ist der Beobachter einfach nur.

Die Bhagavad Gita würde sagen, du bist der ewige Zeuge.

Eckhart Tolle würde dich als bewusste Präsenz bezeichnen, und dein innerer Skeptiker könnte die Augen rollen. Doch je mehr du dich auf den Beobachter einstimmst, desto mehr ergibt das Sinn.

Der Beobachter ist der einzige Teil von dir, der sich nie verändert.

Denk darüber nach: Alles andere an dir hat sich im Laufe der Zeit verändert. Deine Persönlichkeit, dein Körper, deine Vorlieben und Abneigungen, sogar deine Identität.

Vor zehn Jahren warst du eine völlig andere Person in jeder messbaren Hinsicht.

Doch der Beobachter ist derselbe.

Das „Du“, das die Welt mit fünf Jahren wahrnahm, ist dasselbe „Du“, das sie jetzt wahrnimmt.

Das bedeutet, dass es einen Teil von dir gibt, der unberührt von der Zeit ist, unberührt von Traumata, immun gegen jede Geschichte, die dein Verstand dir jemals erzählt hat.

Das ist kein bloßer mentaler Trick.

Es ist tiefgreifend.

Es ist dasselbe Bewusstsein, das das Universum bei seiner Geburt beobachtet hat.

Dieselbe Stille, die die Sterne in ihrer Ruhe widerspiegeln.

Du warst die ganze Zeit hier.

Die zeitlose Weisheit des Beobachters

Der Beobachter ist kein modernes Achtsamkeitskonzept.

Er ist uralt und wurde von einigen der größten Denker der Geschichte erforscht.

Von Schwergewichten wie Einstein, Quantenphysikern und alten Mystikern – alle weisen auf dasselbe hin.

Die Wurzeln des Beobachters lassen sich bis zu den Upanishaden zurückverfolgen, einigen der ältesten spirituellen Texte, in denen das Atman, das ewige Selbst, als der stille Zeuge aller Erfahrungen beschrieben wird.

Auch die Stoiker wie Marcus Aurelius drückten diese Idee aus. Sie rieten dazu, den eigenen Geist so zu beobachten, als würde man außerhalb von sich selbst stehen und Gedanken ruhig betrachten, ohne sich mit ihnen zu identifizieren.

Der Verstand als Erzähler

Dein Selbstgefühl ist eine Geschichte, die dein Verstand ständig schreibt und umschreibt, indem er Erinnerungen und Erfahrungen wie ein überarbeiteter Romanautor zusammennäht.

Es ist natürlich ein Teil der menschlichen Genialität, dass der Verstand sich selbst beobachten und reflektieren kann. Dass er sich seiner eigenen Existenz bewusst ist und seine eigenen Prozesse kritisch betrachten kann.

Er funktioniert wie ein Feedback-System, ein Konzept aus der Kommunikationstechnik, das Maschinen ermöglicht, sich selbst zu steuern.

Feedback erlaubt es einer Maschine, die Auswirkungen ihrer eigenen Handlungen zu erkennen und ihre Handlungen entsprechend anzupassen.

Der Beobachter als natürlicher Zustand

Deine Gedanken verhalten sich wie Menschen, die ständig im Mittelpunkt stehen wollen.

Wenn du dich mit dem Beobachter identifizierst, wirst du merken, dass deine Gedanken wie Hintergrundgeräusche in einem Café sind.

Mach den Beobachter zu deinem Standardmodus.

Je mehr du ihn wahrnimmst, desto natürlicher wird er.

Es ist wie Fahrradfahren lernen oder das Selbstbedienungskassensystem meistern, ohne in Panik zu geraten.

Je öfter du es tust, desto weniger Anstrengung ist nötig.

Lange Zeiten der Stille sind nichts Unnatürliches.

Sitzende Katzen tun es.

Auch Hunde und andere nervöse Tiere tun es.

Einfache Bauern in fast allen Kulturen tun es.

Für jene mit einem überaktiven Intellekt, die immer Vorhersagen über die Zukunft machen und sich durch ständige Aktivität davor schützen müssen, ist es jedoch am schwierigsten.

Doch wer nicht in der Lage ist, einfach nur zu sitzen und zu beobachten, kann die Welt nicht in ihrer ganzen Fülle erfahren.

Das Erleben der Welt geschieht nicht nur durch Nachdenken oder Handeln – man muss sie direkt und über längere Zeiträume erfahren, ohne sofort Schlussfolgerungen zu ziehen.

Die Leere als Quelle

Der Beobachter ist kein mystisches Wesen, das nur Meditierende mit Dutt erreichen können.

Die sogenannte Leere ist nicht wirklich leer, sondern der Schoß aller Dinge – die Quelle, aus der Gedanken, Formen und sogar die Zeit selbst entstehen.